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Agent Fresco

Alternative

Reykjavík (ISL)

Manchmal spürt man sofort, woher eine Band kommt. Agent Fresco sind unzähmbar, anmutig, epochal, gefährlich und unberechenbar wie das Land, aus dem sie stammen. Agent Fresco kommen aus Island – einem Land, von dem man unmöglich unbeeinflusst bleiben kann. „In einem Land zu leben, in dem es im Sommer nie dunkel und im Winter nie hell wird, wirkt sich zwangsläufig auf die Psyche aus“, sagt Sänger, Komponist und Frontmann Arnór Dan Arnarson dazu. Soviel dazu also.

Agent Frescos Musik ist ein Spiegel dieser Landschaft, die sich stetig wandelt und windet, verändert, die pulsiert und ein überwältigendes Gefühl von Freiheit und Weite in sich trägt. Ein progressives Art-Rock-Wunderwerk, bei dem man wie bei einem gewaltigen Gemälde erst mal einige Schritt zurück treten muss, um es in seiner Gänze zu erfassen. Das hochgelobte Ensemble aus Reykjavik – bestehend aus Arnór Dan, Þórarinn Guðnason, Hrafnkell Örn Guðjónsson und Vignir Rafn Hilmarsson – hat es in den letzten Jahren geschafft, mit ihrer schillernden, oszillierenden, kunstfertigen und berauschenden Musik nicht nur zu den Lieblingen einer Musiknation, sondern auch zu einem international gefragten Act zu werden. Oder, um es mit de Worten von Halley Bondy (MTV) zu sagen: „Eine der besten Bands, die Island jemals gesehen hat.“

Und das bei einem Land, wohlgemerkt, das mehr großartige Bands pro Kopf hervorgebracht hat als jede andere Nation der Welt. Dafür war nur ein Album nötig. A Long Time Listening, veröffentlicht 2010, hinterließ ungläubige

Gesichter, atemloses Staunen und grenzenlose Begeisterung für so viel musikalische Leidenschaft. Prog Rock, Avantgarde, Metal, Alternative? Oder doch eher Jazz, Post Rock, gar Djent? Die Kritiker überschlugen sich in ihren Lobeshymnen ebenso wie in ihren Versuchen, das zu kategorisieren, was aus Island herübergeweht wurde. „Ein umwerfendes Album von der derzeit besten Rock-Band des Landes“, urteilte die wichtigste isländische Tageszeitung Morgunblaðið.

Agent Fresco boten selbst für eine typisch experimentierfreudige isländische Band eine beeindruckende, seelenvolle und vielschichtige Interpretation zeitloser Rock-Musik: Farbwechselnd wie Perlmutt, schwer greifbar wie Quecksilber, gestaltet in allen Farben, allen Stimmungen. „Die künstlerische Freiheit in dieser Band ist unglaublich“, betont Arnór Dan. „Ich bin überzeugt davon, dass wir etwas einmaliges und persönliches kreieren und uns gleichzeitig immer wieder neue professionelle und persönliche Herausforderungen stellen.“ Eine besondere Herausforderung lag für den Sänger auch im Konzept des ersten Albums. Auf A Long Time Listening setzte er sich mit dem Tod seines Vaters auseinander. „Es zeigt mir, wie monumental Musik sein kann. Dieses Album gab mir nicht nur die Möglichkeit, den Tod meines Vaters zu verarbeiten, es ließ mich außerdem seinen Namen und sein Andenken ehren“, sagt er dazu. Jeder, der dieses faszinierende Stück Musik gehört hat, wird etwas anderes daraus ziehen.

Arnór Dan ist nunmal niemand, der eine simple Geschichte erzählt. „Dadurch, dass ich innerhalb eines Songs eine vielschichtige Bildsprache aufbaue, kann der Hörer den Song auf persönliche Weise interpretieren. Direkte Texte zu verfassen hat mich noch nie interessiert.“

All das ist mittlerweile fünf Jahre her. Zwei Europatourneen führten Agent Fresco von ihrer abgeschiedenen Insel durch die Welt, Festivals wie Roskilde oder Euroblast wurden von ihnen regelrecht überrannt. Der Ruf einer selten intensiven Live-Band eilte ihnen sehr bald voraus. „Live spielen ist etwas völlig anderes als komponieren“, meint Þórarinn dazu. „Auf der Bühne geht esdarum, sein eigenes Werk zu interpretieren – als würde man mit sich selbst tanzen.“ Das blieb nicht unbemerkt, wie die Band nach ihrem umwerfenden Auftritt beim Iceland Airwaves in ihrer Heimatstadt Reykjavik lernen mussten. „Diese Band ist verdammt beeindruckend, und wie der ganze Raum ihre beeeindruckende Nummer Eyes Of A Cloud Catcher mitsang, wird noch lange in der Erinnerung aller fortleben“, kommentierte ein völlig geplätteter Paul Brannigan vom Kerrang Magazin, nachdem er Agent Fresco auf diesem prestigeträchtigen Festival live erlebt hatte.

Nur das zweite Album, das wollte einfach nicht kommen. Eine klassische Zwickmühle für Arnór Dan, schließlich sollte ihm auch dieser Nachfolger zur Abrechnung mit einigen besonders fiesen Dämonen dienen. „Der emotionale Trigger für dieses Album war eine widerwärtige Gewalttat vor drei Jahren“, erinnert er sich. „Eines Nachts attackierten mich zwei Typen und bescherten mir eine gebrochene Augenhöhle, ein Schnitt in der Augenbraue und eine Gehirnerschütterung. Das veränderte mich. Ich entschied mich, den Zorn und die Angst zusätzlich anzufachen und sie den gesamten Kompositionsprozess über am Leben zu erhalten, um mich von diesen rohen Emotionen leiten zu lassen.“

Deshalb trägt das Album auch den Titel Destrier. „Ein Destrier war ein mittelalterliches Kriegspferd, geboren und aufgezogen für die Schlacht. Dies war ein anmutiger, mystischer und muskulöser Gefährte für die Songs und das perfekte Konzept für dieses Abum.“ Allein, das Ereignis nagte so sehr an seinem Seelenleben, dass er sich zusehends gefangen fühlte. „Rückwirkend betrachtet, geriet diese Herangehensweise zum Ende alles außer Kontrolle und ich wurde aufgrund meines Zorns um ein Haar zum Opfer meines persönlichen Stockholm Syndroms. Das ist es auch, was ich im Musikvideo zu See Hell einfangen wollte.“ In nachdenklichen, traurigen Bildern führt der Clip zu dieser wunderbaren zweiten Single in die dunkle Welt des Albums ein. „Es ist unglaublich und erschreckend zugleich, wie destruktiv sich Angst und Zorn auf deine körperliche Gesundheit auswirken können. Ich verlor ständig meine Stimme, hatte Schlafprobleme, erlitt Panikattacken und konnte mich gegen Ende der Aufnahmen kaum noch auf meine Arbeit konzentrieren.“

Endlich ist Destrier vollendet. Und übertrifft seinen großen Vorgänger mit scheinbar spielender Leichtigkeit. Ein Füllhorn musikalischer Stimmungen, Ideen und Texturen, eine emotionale Tour de force durch Abgründe, Höhenflüge, von den dunkelsten Seiten der menschlichen Existenz bis hinauf zu Momenten purer Schönheit. Und plötzlich erscheint es nur logisch, dass dieses Album so lange auf sich warten ließ. Emotional aufwühlende Alben wie diese schreibt man eben nicht zwischen Mittagspause und Feierabend. Agent Fresco gelingt das seltene Kunststück, die musikalische Bandbreite des Debüts aufzugreifen und sogar noch in die Breite zu ziehen. „Während

ich verschiedene und aufreibende Emotionen wie Angst und Zorn analysiert und untersucht habe, hat sich Þórarinn damit auseinandergesetzt, was man alles mit Harmonien und Rhythmen anstellen kann.“ Þórarinn führt das näher aus: „Es gibt noch so viel unerforschtes Terrain auf dem Rhythmussektor. Ich war bei den Arbeiten an Destrier fasziniert von Harmoniefolgen und ihrer Abhängigkeit von Klang, Wahrnehmung und ihren Verbindungen zu anderen Bereichen der Musik oder diversen Naturgeräuschen.“ Destrier, das wird schnell klar, ist sein eigener Spielplatz visionärer Ideen.

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